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MAYFAIR – Frevel

~ 2019 (Pure Steel Records/Soulfood) – Stil: Rock ~


MAYFAIR, die Avantgarde Rocker aus dem österreichischen Vorarlberg überraschen abermals ihre eingeschworene Hörerschaft. 2019 sind sie weder Avantgarde noch Metal.

1991 standen sie dem urigen Prog Metal amerikanischer Kriegsherren in keiner Sekunde nach, zwei Jahre später lösten sie das Versprechen abstrakter Metal-Kunst mit dem unvergleichlichen Meisterwerk ´Behind…´ ein. Einmalig und einzigartig war erneut ´Die Flucht´ aus dem Jahre 1995, doch der ´Fastest Trip To Cyber-town´ ließ sie drei Jahre später vorerst in die ewigen Jagdgründe eingehen, gleichwohl eine Fangemeinde wie Blutsbrüder von England bis Griechenland hinterlassend. Die glorreiche Rückkehr schenkte 2013 der Gefolgschaft das erste halb-deutschsprachige Album und einen weiteren Klassiker namens ´Schlage mein Herz, schlage…´. Seither beben die Herzen aller weltweit und warten gespannt auf funkelnagelneue Kompositionen. Diese schenken uns MAYFAIR seither im Dreijahresrhythmus. Folgerichtig erscheint ´Frevel´ 2019, das sie in den „Little Big Beat Studios“ ihres ehemaligen Schlagzeugers Little Konzett in nur drei Tagen live aufgenommen haben. Wiederum hat das Quartett Chamäleon-artig einen Wandel vollzogen. MAYFAIR loten die Extreme ihrer scheinbar grenzenlosen Musik aus.

„Komm doch her – es fühlt sich gut an“

Beim Erstkontakt denkt der Hörer an Unplugged-Sessions, denen aus Versehen nicht der Stecker gezogen wurde. Unverkennbar sind sie dennoch bei sich selbst geblieben, auf ihrem sechsten Album in einer von großen Unterbrechungen geprägten, mittlerweile 30-jährigen Karriere. Die Rhythmussektion – Roland „Jolly“ Maehr am Schlagzeug und Martin „Medi“ Mayer am Bass – groovt Groove um Groove, derweil sich Gitarrist rEnE mehr und mehr seinen Ursprüngen zuwendet. Der Groove im Morse-Code und ein Schlagzeug, das den Mob live durchdrehen lassen wird (´Hitze´), ebnen die Bahn für psychedelische Faszinationen („Bleib nochmal hier jetzt stehen, die Geschichte schreiben wir heut Nacht, es wird schon hell“), einen Spaziergang á la Faust (´Der Teufel´) oder die Auswüchse eines Domina-Ohrwurms (´Annelies´). Die Gitarre lässt schlicht allen Schwingungen freie Hand, in der Sehnsucht nach den teuflischen Sechziger- und Siebzigerjahren. Und rEnE zaubert, dem Himmel angemessen, öfters eine entsprechend wunderbare Melodie aus dem Handgelenk („Bitte greife mit mir nach den Sternen, tief unten lauert Gefahr, blicke mit mir in die Ferne, zu viel gesagt, getan, dein Himmel in Gefahr“). Insbesondere hier (´Himmel in Gefahr´) oder dort (´Phosphor´) ist es eine emotionale Achterbahnfahrt, die weniger nach WARLORD anno 1991 als nach R.E.M. tönt. Gleichwohl klingen MAYFAIR 2019 trotz musikalischer Häutung abermals unvergleichlich und einzigartig.

„Das ist unsere Nacht, ach komm schon, wir leben noch.“

Die Songs atmen die musikalische Sozialisierung ihrer Schöpfer ein und aus, MAYFAIR tragen die Probleme der Welt auf der Zunge und im Herzen (´Ungetaktet´), lassen hoch-emotional („Flaschen kommen in den Schrank“) die üblen Erscheinungen dieser Tage nicht ungenannt („Niemals rechts, falsches Land, niemals rechts“). Sänger Mario schreit sich in vielen Momenten alle nicht mehr zu haltenden Emotionen heraus, schreit nach Christine (´Evil Christine´) oder sinniert über Tage zum Abhaken (´Gestern und nicht heut´) sowie über Träume und Stimmen im Kopf (´Hinter dem Leben´). Röchelnd, wenn die Luft wegbleibt, darf er seinem Ärger und Frust freien Lauf lassen. An anderer Stelle lässt der live im Studio aufgenommene Gesang den Hörer geradewegs sprachlos zurück (´Atme´). So dürfte ´Frevel´ als eine der besten Gesangsleistungen von Mario in die Annalen der Formation eingehen.

Für den Block „Herzschmerz“ ist schlichtweg jedes zweite Lied ein Höhepunkt, für den Block „Kraftmeier“ sind es die restlichen Stücke. Die eine Hälfte des Albums berührt mit ´Hinter dem Leben´, ´Himmel in Gefahr´ oder ´Hitze´ Herz und Seele, die andere in Liedern wie ´Evil Christine´ oder ´Annelies´ Muskeln und Nerven, gern auch beides im Verbund.

„Komm nochmal die Welt zu sehen“

MAYFAIR sind intimer, direkter und emotionaler als jemals zuvor. Dem Heavy Metal haben sie schon längst, der Progressivität nun endgültig abgeschworen. Dem Vintage oder dem schwer angesagten Retro Rock-Revival haben sich MAYFAIR jedoch beileibe nicht angeschlossen und dem Deutsch-Pop sind sie meilenweit überlegen. Die musikalische Reise erreicht schlicht und einfach neue Ufer („Bleibe hier und genieße die See, das Ufer hat Zeit“), das des Ökostrom-Rock – der Strom fließt noch, aber in Unplugged-Manier abgespeckt, alternativer und nachhaltiger.

Ohne Zweifel, ´Frevel´ zählt neben den Werken von der HEITERKEIT und DAGOBERT zu den wichtigsten deutschsprachigen Veröffentlichungen des Jahres.

(9 Punkte)

Michael Haifl

 

 

„MAYFAIR klingt wie keine andere Band, und keine andere Band klingt wie MAYFAIR…!!!“ …und das ist Fluch und Segen zugleich! Einerseits sicherlich das größte Kompliment, das man einer Kapelle aussprechen kann. Wie aber bitteschön bringt man diesen, tatsächlich, ureigenen Sound dem Publikum näher? Eine schwierige Aufgabe, die ich hier mit El Cheffe zu lösen versuche.

Musikalisch wurde das Quartett aus unserem schönen Nachbarland Österreich schon in so ziemlich jede Schublade gesteckt. Angefangen von Progressive Rock/Metal, über Gothic Rock oder Dark (Wave) Rock bis hin zu Avantgarde Metal, wurde ihnen bereits jeglicher Stil oder jedes Genre angedichtet – doch was kommt ihrer einzigartigen Identität jetzt wohl am Nächsten? Hm, irgendwie eben Alles aber auch Nichts. Und hieran erkennt man schon die von mir oben bereits angesprochene Problematik. Für welche Käufer- beziehungsweise Fanschicht ist MAYFAIR denn am Besten geeignet? Scheiß drauf, und um es ganz plump, simpel und auf den Punkt gebracht zu sagen: für JEDEN echten MUSIKLIEBHABER mit Niveau!!! Mitte und Ende der Neunziger Jahre zum Beispiel experimentierte die Band zudem auch noch mit vielen verschiedenen elektronischen Sounds (bei ihren Konzerten eröffnete damals die Titelmelodie der Zeichentrickserie „Captain Future“ als Intro den bunten Reigen – grandios!). Und dann noch der Wechsel von deutschem und englischem Gesang, teilweise sogar innerhalb eines Songs, machen die Sache auch nicht gerade einfacher.

Auf ´Frevel´ indes gibt es aber ausnahmslos Liedgut in deutscher Muttersprache zu hören. Und die Kompositionen an sich sind, wie könnte es auch anders sein, wieder sehr unterschiedlich, abwechslungsreich und verdammt tiefgründing ausgefallen – alles Trademarks, die übrigens bislang jedes MAYFAIR-Album auszeichneten. Am meisten überzeugen mich persönlich aber, heute wie früher, die ruhigeren, romantisch melancholischen Titel, denn die Band schafft es tatsächlich den Hörer in seinem Innersten (sprich, Herz und Seele) zu berühren, zu packen und mitzureißen. Gänsehaut pur – und das ist bei MAYFAIR nicht nur eine wie so oft leichtfertig und üblich gewählte Floskel, sondern Tatsache. WAHNSINN – die glorreichen Vier verzaubern auch ohne Zauberstab! Und an dieser Stelle möchte ich jetzt doch auch einen ersten und einzigen Vergleich mit einer ebenfalls einzigartigen Band bedienen: ELEMENT OF CRIME. Denn besonders zwei Titel von ´Frevel´ zeigen deutliche Parallelen zu dem Berliner-Ensemble um Tausendsassa Sven Regener auf. Das mit wunderschöner Seemannsromantik und Sehnsucht gespickte ´Das Ufer hat Zeit´ (wie man im idyllisch bergigen Österreich allerdings zu der nordisch rauen Seemannsromantik kommt, wird mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben) und das sehr berührend und ergreifende ´Hinter dem Leben´. Großartig. Ebenfalls immer wieder herausragend, beeindruckend und daher natürlich auch besonders erwähnenswert, ist die teilweise sehr minimalistische Instrumentierung (von Gitarrist „rEnE“, der mit seinem ureigenen Sound über dem von Bassist „Medi“ und Schlagwerker „Jolly“ hervorragend gelegten Rhythmusteppich schwebt), die dann gelegentlich in heftigen, massiven und sehr intensiven Wutausbrüchen eskaliert.

Neben den herrlich schönen, romantischen und teils auch sehr philosophischen, lyrischen Ergüssen von Frontmann Mario Prünster (oftmals mit einem Augenzwinkern versehen – der Bub hat halt den Schalk im Nacken), haben die Jungs aber auch Wichtiges zu sagen, nehmen dabei kein Blatt vor den Mund und tun das verdammt nochmal in aller Deutlichkeit. Wie zum Beispiel bei der Singleauskopplung ´Ungetaktet´. Ein echter Hassbrocken gegen den Rechten Hass – „NIEMALS RECHTS“! Das verdient Respekt! Und abschließend noch der, meiner Ansicht nach, einzige Schwachpunkt von ´Frevel´: die fast schon „zu“ perfekte Produktion – und ja, auch so etwas soll es geben. Von ihrem ehemaligen Schlagzeuger „Little“ in dessen Soundtempel den Little Big Beat Studios und unter seinen wachsamen Augen und Fittichen eingetütet, fehlt mir hier leider etwas die wohlige Wärme, die die stimmungsvollen Kompositionen von MAYFAIR seit jeher prägten und auch benötigen. Das Album klingt in meinem Ohren etwas klinisch und kalt (sorry, Little!) – aber hey, das ist natürlich Ansichtssache. Andere Leute und Klangfetischisten wiederum werden sich sicherlich an diesem nahezu perfekten Soundteppich ergötzen.

MAYFAIR erreichen mit ´Frevel´ zwar nicht ganz ihr, kaum in Worte zu fassendes, Einstiegswerk ´Behind´, oder ihr bislang wohl größtes Meisterstück ´Schlage mein Herz, schlage…´(beides Werke für die Ewigkeit!), stehen aber in Sachen Feeling, Emotionen, Tiefgang, Lyrik und, und, und, meilenweit über dem ganzen, deutschen „Möchtegern-anspruchsvoll“ Einheitsfurz (werde hier jetzt aber keine Namen nennen, Herr Naido und Co., you know who you are!?,  😀 ). Ganz einfach und ehrlich ausgedrückt: große ROCKMUSIK, die in jede gut sortierte Plattensammlung gehört! Hugh, ich habe gesprochen… und warte schon ganz sehnsüchtig auf mein fünftes Live-Erlebnis mit MAYFAIR!

(8,5 „schlagende Herzen“)

Armin Schäfer

 

www.mayfairbrigade.com


Foto-Credit: Noah Insam

(VÖ: 14.06.2019)